Standartwerk zur Homo-Geschichte

Jürgen Müller: Ausgrenzung der Homosexuellen aus der “Volksgemeinschaft”. Die Verfolgung von Homosexuellen in Köln 1933-1945 (Schriften des Dokumentationszentrums der Stadt Köln, 9), Köln 2003.

Der Nationalsozialismus in Deutschland war nicht an arm an Methoden, unliebsame Menschen zu drangsalieren und zu verfolgen. Das Schicksal der Juden kann in Deutschland nicht vergessen oder verdrängt werden, dafür ist die Bilanz des Schreckens zu “eindrucksvoll”. Der industriell betriebene Massenmord an den europäischen Juden bleibt einzigartig in einer an Widerwärtigkeiten nicht armen Weltgeschichte.
Ist die Geschichte der Judenverfolgung im “Dritten Reich” seit Jahrzehnten Gegenstand der historischen Forschung, so sind andere Opfergruppen erst spät in den Blickwinkel der Historikerzunft und auch der Öffentlichkeit gerückt. Dies gilt auch für die Homosexuellen, besonders eben für homosexuell veranlagte Männer.
Diesen Mangel hat der Kölner Historiker Jürgen Müller in einer beeindruckenden Dissertation behoben. Müller untersucht die Verfolgung der Schwulen im Kölner Raum. Bei seinen Forschungen konnte er nur im geringen Umfang auf Ergebnisse anderer Forscher zurückgreifen. Er ging in die Archive und wurde fündig.
Bei ihren Aktionen gegen die Homosexuellen (in der Regel traf es Schwule) konnten sich die Nazis auf vorhandene Vorurteile und Ressentiments in der deutschen Bevölkerung stützen: das gleiche Muster findet sich auch bei anderen Opfergruppen dieser Zeit. Zunächst war das Verhältnis der Nationalsozialisten zur männlichen Homosexualität alles andere als eindeutig, denn mit Ernst Röhm gab es einen “Kämpfer”, der offen schwul lebte. Erst mit seiner Ermordung 1934 wurde aus der latenten Ablehnung offene Verfolgung. Mit einer verschärften Version des Strafrechtsparagraphen § 175 bekamen Polizei und Justiz die Mittel, um Schwule zu schikanieren. Müller liefert Fallbeispiele.
“Ersttäter” kamen vor Gericht mit Strafen von einigen Monaten Haft weg, die je nach empfundener Schwere der Tat auch zur Bewährung ausgesetzt werden konnten. Bei “Wiederholungstätern” verfuhr die Justiz strenger. Hatten erwachsene Männer mit Minderjährigen sexuellen Kontakt, griff der “Jugendschutz”. Sogar die Entmannung konnte verhängt werden. War einem Schwulen mit den Mitteln der Justiz nicht beizukommen, konnten die Behörden seine Verschleppung in ein KZ anordnen. In einem Fall kann Müller ein Todesurteil gegen einen schwulen Stricher nachweisen.
Darüber hinaus gab es die Überwachung der Schwulen, die aus der Haft entlassen worden waren. Mitten im Krieg befasste sich die deutsche Obrigkeit mit Geboten und Verboten für Homosexuelle. Und wer sich hier nicht kooperativ zeigte, der musste ebenfalls mit seiner Verschleppung in ein KZ rechnen.
Eines allerdings gelang der Obrigkeit nicht: die schwule Szene Köln konnte nicht zerschlagen werden. Da sich neue Szenetreffs fanden, blieb der Polizei nur die Möglichkeit, diese zu dulden und für ihre weiteren Ermittlungen gegen Schwule zu nutzen.
Anders als für die Juden gab es für Homosexuelle in Nazi-Deutschland die Möglichkeit zum Überleben. Schwules Leben war aber nur unter Gefahr möglich.
Es ist das große Verdienst von Jürgen Müllers hervorragender Dissertation, diesen Teil des nationalsozialistischen Verfolgungssystems umfassend aufgearbeitet zu haben.

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(aus: Zauberhut, Juli 2003, S. 25f)

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