Chronik aus schlechteren Tagen

Hermann Crüger: Handbuch der (sic) Preußischen Herrenhauses. Ein Gedenkbuch zur Erinnerung an das Dreißigjährige Bestehen des Herrenhauses, Berlin 1885 (Nachdruck London 2018)
 

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Macht es Sinn, ein Buch aus dem Jahr 1885 zu rezensieren? Nein, macht es nicht. Der Autor ist seit langem tot, das Objekt seiner Begierde wurde vor über hundert Jahren von einer Handvoll Sozialdemokraten liquidiert. Und doch greife ich in die Tasten meines Computers, um dieses Buch vorzustellen.

1884 feierte das Preußische Herrenhaus seinen dreißigjährigen Geburtstag. Es war im Herbst 1854 gebildet worden auf Initiate des preußischen Königs Friedrich-Wilhelm IV. In dieser Parlamentskammer - sie hieß bis 1855 erste Kammer - sammelten sich der Adel und die Funktionselite Preußen: Standesherren und besonders hohe Adelige hatten einen erblichen Sitz, die preußischen Landjunker hatten für jede Provinz ein Präsentationsrecht, ebenso die großen Städte und Universitäten des Königreichs. Dazu konnte der König beliebig viele Personen zu Mitgliedern des Herrenhauses berufen.

Dieses Buch gibt Auskunft über die Mitglieder des Hauses in den ersten dreißig Jahren. Es enthält eine Mitgliedermatrikel und verschiedene statistische Auswertungen zur Mitgliederstruktur. Dazu kommt noch eine Übersicht über die einzelnen Sitzungsperioden.

Wer sich mit dem Herrenhaus befassen wollte, der kam an diesem Schinken nicht vorbei. Der Clou sind jedoch die Bilder der Mitglieder. Seit das Herrenhaus 1855 seinen ersten Toten zu beklagen hatte, legte man eine Sammlung mit Fotos der Verblichenen an, und vermutlich auch der lebenden Mitglieder: so finden sich Bilder vom Herzog von Ratibor, zu der Zeit Präsident des Herrenhauses, und vom Fürsten Bismarck, zu der Zeit preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler. Es sind also nicht nur die Texte mit ihren Verzeichnissen interessant, nein: hier präsentiert ein deutsches Parlament einen Teil seiner Mitglieder mit zeitgenössischen Fotos. Vermutlich war das Herrenhaus das erste Parlament, welches diesen Weg beschritten hat; der Kürschner erschien erstmalig 1890 mit den Porträts der Reichstagsabgeordneten, das Amtliche Handbuch des Reichstags präsentierte erst 1907 Bilder der Parlamentarier. Dieses Buch ist also ein Muss für Parlamentshistoriker, umso ärgerlicher fand ich es, dass ich das Buch nie in die Finger bekam.

Im Vereinigten Königreich gibt es den Verlag "Forgotten Books". Eingescannte Bücher stellt der Verlag als Nachdrucke zur Verfügung, eine echte Perle für Liebhaber oder Nutzer antiquarischer Bücher. So war ich sehr angetan, als ich bei Amazon ein entsprechendes Buch im Angebot fand. Ich habe sofort zugeschlagen ... und es bereut und doch nicht bereut. Zunächst: ich brauche das Buch und bin froh es zu haben. Der Druck der Texte ist so weit in Ordnung. Alles lesbar. Aber schon der Titel des Buches macht deutlich, dass man in London etwas überfordert war, denn der Titel ist falsch wiedergegeben: Es muss heißen "Chronik des Preußischen Herrenhauses", nicht "der". Leider sind beim Scan auch nicht alle Seiten erfasst worden, einige fehlen. Auch die Reihenfolge lässt zu wünschen übrig. Da ich die Originalvorlage nicht kenne, kann ich mich nur begrenzt zur Qualität der Bilder äußern: in den meisten Fällen sind die Bilder ok, in wenigen Fällen ist nichts zu erkennen. Der Verlag bietet auch Zugriff auf die große PDF-Sammlung an, eine Monat gratis und kostenlos; aber man bittet darum, dies nur zu nutzen, wenn man später ein kostenpflichtiges Abonnement abschließt. Die Sammlung der vergessenen Bücher ist beeindruckend, aber so nötig hatte und habe ich es nicht, also habe ich auf den Probemonat verzichtet.

Fazit: ich brauch(t)e das Buch und bin froh, dass ich es erwerben konnte. Über alles andere gehe ich huldvoll schweigend hinweg.

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Bearbeitet am 18. Dezember 2019

(C) des Textes: Norbert Korfmacher