Tom Sawyer ist wieder da

Simon X. Rost: Der Mann, der niemals schlief. Ein Tom-Sawyer-Roman, Köln 2012

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Zu den Klassikern der Weltliteratur gehört der von Mark Twain erschaffene Tom Sawyer und seine kleine Welt in St. Petersburg am Mississippi, Jahre vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Mark Twain präsentierte uns den Buben als Jüngling, als Schüler. Der arme Junge war Waise, lebte bei seiner Tante, hatte einen jüngeren Halbbruder, war verliebt in Becky Thatcher und hing mit dem gleichaltrigen Dorfparia Huck Finn ab, der sich selbst überlassen blieb, weil der Vater im Grenzgebiet herumlungerte und dem Alkohol verfallen war. Bevor Tom und Huck erwachsen wurden, ließ der Autor den Griffel fallen mit der Bemerkung, es möchte sinnvoller sein, die Lebenswege der beiden Knaben wieder unter die Lupe zu nehmen, wenn sie zu Männern herangereift wären.

Simon X. Rost nimmt die Leben der beiden Protagonisten unter die Lupe, die zu Männern herangereift sind.
Tom Sawyer ist im Sommer 1865 mit den Nerven am Ende. In seinen Armen starb Präsident Lincoln, für dessen Schutz er zwar prinzipiell, aber eben nicht am Mordtag zuständig war; auch den Mörder des Präsidenten konnte er nicht wie gewünscht vor ein Gericht stellen, sondern musste hinnehmen, dass dieser bei seiner Gefangennahme erschossen wurde. Seitdem hat Tom Schlafstörungen. Da kommt eine Einladung nach St. Petersburg wie gerufen: sein Bruder Sid, der ihn früher so genervt hat, heiratet. Als Tom in dem Kaff ankommt, platzt er in eine Beerdigung: seine Tante Polly wird beigesetzt; sie wurde ermordet. Die Braut seines Bruders ist Becky Thatcher, seine Kindheits- und Jugendliebe; als Tom sie heiraten wollte, zog er es vor, in die Welt zu ziehen und ließ Becky in der Ödnis zurück. Hauptverdächtigt im Mordfall Tante Polly ist ausgerechnet sein alter Kumpel Huck Finn. Das will und kann Tom Sawyer so nicht akzeptieren. Also nimmt er widerwillig eigene Ermittlungen auf. Damit kommt er Joe Harper in die Quere, der zum Sheriff des Nests avanciert ist.

Es beginnt eine Reise durch die kleine Welt von St. Petersburg. Bei dieser Reise stößt Tom auf ungeklärte Todesfälle durch einen Serienmörder, auf ein dunkles Geheimnis seiner Tante, auf Rassismus, auf Indianer; aber eben auch auf einen Hund, der ihn begleitet, und auf seine Mitmenschen und ihre Schicksale. Da ist zum Beispiel sein Bruder Sid, der Becky heiraten will. Will. Er heiratet sie am Ende nicht, denn es stellt sich heraus, dass er den Verlockungen eines Teenagermädchens nicht standgehalten hat. Joe Harper war in Mark Twains Geschichte ein Randfigur. Hier ist er der Ordnungshüter des Dorfes, eine respektable Figur, allerdings mit Makel. Dieser Makel sind nicht seine langen Haare, dieser "Makel" ist seine Neigung für schwarze Frauen. Der Neigung kann er nachgeben und eifrig mit ihnen fleischlich verkehren, allein er kann keine von ihnen heiraten, denn das ist im amerikanischen Süden nach dem Bürgerkrieg weiter undenkbar. Auch Tante Polly hatte keine Probleme mit den Schwarzen, sie war mit etlichen schwarzen Frauen befreundet und half ihnen und anderen Frauen bei der Lösung gewisser Probleme. Mr Dobbins, Toms ehemaliger Lehrer, nimmt sich seines Ex-Schülers besonders an und schickt ihn ins Bordell. Dort allerdings versagt Tom, als es darum geht, eine Prostituierte zu beglücken; aber auch dafür trägt Mr Dobbins die Verantwortung. Zuletzt trifft Tom auf den Mörder seiner Tante, wird von ihm überwältigt, kann sich befreien und nimmt eine gewagte Verfolgungsjagd auf. Der Preis, man ahnt es, ist so heiß, dass er am Ende wieder schlafen kann.

Simon X. Rost hat die Biographien der Figuren von Mark Twain durchdacht weitergesponnen. Aus Sid einen kleinen Lüstling zu machen, hat mich gefreut, Becky Thatcher musste natürlich zur selbstbewussten Frau heranreifen, deren Selbstbewusstsein indes gelitten hat, sonst hätte sie sich nicht in Sids Arme geflüchtet. Konsequent war die Entwicklung Tom Sawyers, aus dem ein Detektiv und Leibwächter wurde. Bedenken hatte ich bei Huck Finn. Rost ließ ihn in die Fußstapfen seines Vaters treten, und das war mir zu billig. Woran man sieht, dass ich meine eigenen Vorstellungen vom weiteren Lebensweg der Helden meiner Kindheit habe. Höhepunkt des Romans war für mich der Höhepunkt, der nicht stattgefunden hat, der Auftritt Tom Sawyers im Bordell.

Ja, der Roman hat Spaß gemacht. Ich kann ihn nur empfehlen.

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Bearbeitet am 25. Januar 2014