10. 12. 2014
4. Die Deutschland-Maschine 1989-2014
Deutschland ist wieder groß, Berlin ist die Hauptstadt, und die
Möglichkeiten scheinen unendlich. Doch ganz so einfach fällt
Staat und Menschen das neue Zusammenleben nicht. Die Welt schaut zunächst
fasziniert auf die neue Leichtigkeit der Deutschen. Techno und Musikfernsehen
regieren die Jugendkultur, Schriftsteller wie Christian Kracht machen daraus
Popliteratur. Selbst Politik und Erinnerungskultur stehen im Verdacht,
im Sog des Infotainments an Ernsthaftigkeit einzubüßen. Aktionskünstler
Christoph Schlingensief wird nicht müde, diese Tendenz ins Licht der
Aufmerksamkeit zu zerren. Die westliche Lebenswelt wirft im Osten Deutschlands
bald dunkle Schatten. Leuchttürme der DDR-Kultur wie die DEFA geraten
unter die Räder der Marktwirtschaft. Die Enttäuschung über
die Folgen der Wiedervereinigung vertieft den Graben zwischen "Besserwessis"
und "Jammerossis". Sie schlägt sich nicht nur in einer trotzigen Welle
der Ostalgie nieder, sondern auch in Gewaltausbrüchen gegen Ausländer.
Doch Deutschland meistert am Ende nicht nur die innere Anstrengung der
Wiedervereinigung, sondern geht auch aus den globalen Krisen des neuen
Jahrtausends gestärkt hervor. Und immer mehr kulturelle Beispiele
zeigen wie selbstverständlich eine neue gesamtdeutsche Realität.
Durch Künstler wie die Choreografin Sasha Waltz gewinnt Berlin rasant
an Anziehungskraft für Kreative aller Kunstsparten. Der innovative
Spielfilm "Lola rennt" (1998) von Tom Tykwer findet weltweit Anerkennung,
die ehemaligen Ostrocker von Rammstein ebenso, und die jungen Maler der
Leipziger Schule feiern Erfolge auf dem internationalen Kunstmarkt. Schriftsteller
Daniel Kehlmann landet einen Welterfolg, Günter Grass und Herta Müller
erhalten den Literaturnobelpreis. Die Deutschland-Maschine läuft wieder.
Doch wohin die kulturelle Reise der BRD geht, oder ob sie überhaupt
eine Richtung hat, bleibt unbeantwortet. Die Republik ist in Bewegung.
Bearbeitet an St. Nikolaus 2014